Bayerische Verfassung: 70. Jahrestag
Bayerische Verfassung: Rede der VVN am 1. Dezember 2016, aus Anlass des 70. Jahrestags der Volksabstimmung und damit Inkraftsetzung der Verfassung
„Bayerns antifaschistische Regierung“
(So lautete die Schlagzeile in der Süddeutschen Zeitung vom 26. Okt. 1945)
„Die neue bayerische Regierung ist keine Regierung der Parteien wie das in demokratisch-parlamentarischen Staaten üblich ist, denn Parteien bestehen einstweilen noch nicht, sondern sind erst im Werden. Es ist also keine Koalitionsregierung im eigentlichen Sinne, aber die neuen Männer des Kabinetts stehen im Lager der Parteigruppen, mit denen für die nächste Zeit zu rechnen ist. Die Regierung besteht aus vier Anhängern der Sozialdemokratischen Partei, der der Ministerpräsident selbst angehört.
Dann gehören ihr Kommunisten an, zum ersten Mal in der Geschichte Bayerns. Niemand wird den Anspruch der Kommunisten, in der Regierung vertreten zu sein, zu bestreiten wagen angesichts der großen Opfer, welche die Kommunisten in den Konzentrationslagern gebracht haben und angesichts der starken antifaschistischen Betätigung der Kommunisten vor und seit Hitlers Machtübernahme.
Schließlich sind mehrere Minister Mitglieder der neuen bürgerlichen Sammelpartei, der Christlich-Sozialen Union. Doch ist keiner der Minister parteigebunden. Er gehört nicht als Vertreter seiner Partei dem Ministerium an. Der von der Militärregierung mit der Regierungsbildung beauftragte Ministerpräsident hat vielmehr Männer um sich geschart, die den Parteiströmungen angehören, die nach dem Zusammenbruch der Naziherrschaft berufen sind, den Wiederaufbau durchzuführen. Die Regierung beruht also auf allen Kräften des Landes, die nicht naziverseucht sind, die wie Dr. Högner es formulierte. Sondern die den Nationalsozialismus entweder von Anfang an bekämpft oder mit der Zeit als den größten Gegner aller Einrichtungen und Überlieferungen unserer europäischen Kultur erkannt haben.“
(Diesen Kommentar schrieb Edmund Goldschaff, verantw. Redakteur der SZ für Wirtschaft und Politik vor ca. 71 Jahren)
Auffallend und aufschlussreich ist: Kurz nach dem Sieg der Alliierten Armeen und damit der Befreiung Europas von der Nazidiktatur war es ganz normal, dieses Regime als das zu bezeichnen, was es tatsächlich war, nämlich faschistisch und verbrecherisch. Die Verantwortlichen wussten schließlich, wovon sie redeten und schrieben.
Der erste Ministerpräsident Bayerns, Dr. Högner hätte ganz sicher auch kein Problem gehabt, eine Losung der VVN-BdA zu unterschreiben: Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen.
Und es gab auch kein Problem, den Widerstand und die Kämpferinnen und Kämpfer gegen die Nazi-Diktatur als das zu bezeichnen, was sie waren: Nämlich Antifaschisten.
Wie der Artikel zeigt, wurde da nicht um den Brei herumgeredet, es wurde nicht über „Extremismus“ oder „Totalitarismus“ philosophiert, sondern es war ganz normal diese erste Bayerische Regierung „antifaschistisch“ zu nennen.
Auch die „Nürnberger Nachrichten“ wurden zeitlich kurz vor der Veröffentlichung des o.g. Artikels von Dr. Josef Drexel gegründet.. Aber da Dr. Drexel sich ja selbst die Brutalität der Nazis in Mauthausen erlebt hatte und sich auch Antifaschist nannte, dürfte es auch hier einen ähnlichen Artikel geben. (Ich hatte keine Zeit zu suchen)
Die Bayerische Verfassung, wurde am 1. Dezember 1946 (also vor 70 Jahren) wurde bei einer Volksabstimmung angenommen. (Zugestimmt hatten 70,6 Prozent – bei einer Wahlbeteiligung von 75,7 Prozent) Sie bezieht eindeutig Position gegen die Nazidiktatur – also gegen Nationalisten und Rassisten.
Und das ist eigentlich auch logisch:
Denn unter den Männern und (wenigen) Frauen in der verfassungsgebenden Landesversammlung waren viele, die selbst in der NS-Zeit Verfolgung erlitten hatten, die im Widerstand waren oder ins Exil getrieben wurden.
Darunter z.B. der 1.Ministerpräsident Dr. Högner (er war im Exil) selbst oder aus Nürnberg Lorenz Hagen (SPD) und Hermann Schirmer (KPD) Beide wurden in verschiedenen Konzentrationslagern barbarisch gefoltert.
Diese Erfahrung brachten sie in die Beratungen über die neue Verfassung ein. Deshalb ist in der Bayerischen Verfassung – wie auch in anderen Länderverfassungen z.B. Hessen oder NRW – der Bezug auf den deutschen Faschismus stellenweise noch direkter zu spüren als im erst 1949 beschlossenen Grundgesetz
Dies zeigt sich besonders in folgenden Festlegungen:
Umfassendes Asylrecht
Weil während der Nazidiktatur Hunderttausende ihre Rettung dem Asyl in anderen Ländern verdankten, wurde in Artikel 105 festgelegt, dass „Ausländer, die unter Nichtbeachtung der in dieser Verfassung niedergelegten Grundrechte im Ausland verfolgt werden und nach Bayern geflüchtet sind, nicht ausgeliefert und ausgewiesen werden“ dürfen.
Gegen Rassen- und Völkerhass
Weil die Naziideologie auf rassistischer Grundlage beruhte, und zur Ausgrenzung vieler Menschen aus der „Volksgemeinschaft“ und letztlich zu Krieg und Vernichtung führte, wurde in Artikel 119 schlicht formuliert: „Rassen- und Völkerhass zu entfachen ist verboten und strafbar.“
Verpflichtung wirtschaftlicher Tätigkeit auf das Gemeinwohl
Weil soziale Unsicherheit Menschen vor 1933 anfällig machte für die Nazipropaganda und weil Großkonzerne ihre wirtschaftliche Macht zu politischen Zwecken missbrauchten, sollte die „gesamte wirtschaftliche Tätigkeit […] dem Gemeinwohl“ dienen. Es wurde die Zusammenballung wirtschaftlicher Macht verboten und das Recht auf Arbeit verankert (Art. 151-177).
Darunter auch u.a. die Klarstellung, dass die Wohnung eben nicht nur eine gewöhnliche Ware ist, mit der man machen kann, was man will – nämlich wie der Minister Söder vor einigen Jahren die GBW-Wohnungen auch in unserer Stadt massenweise an den Meistbietenden verhökert hat. Hierzu Art. 106:
(1) Jeder Bewohner Bayerns hat Anspruch auf eine angemessene Wohnung.
(2) Die Förderung des Baues billiger Volkswohnungen ist Aufgabe des Staates und der Gemeinden.
Gegen Nationalsozialismus und Militarismus
Im Artikel (Nr.184) wurde festgelegt, dass: „Die Gültigkeit von Gesetzen, die gegen Nationalsozialismus und Militarismus gerichtet sind oder ihre Folgen beseitigen wollen, […] durch diese Verfassung nicht berührt oder beschränkt“ werden.
Das heißt sie gelten auch weiterhin! (Einen gleichen Artikel gibt es auch im Grundgesetz).
Dabei geht es um Vereinbarungen und Gesetze der damaligen Alliierten, (u.a. auch im Potsdamer Abkommen), denen zufolge alle Nazi-Organisationen wie ihre möglichen Nachfolger als Terrororganisationen bezeichnet werden und schlicht und einfach zu verbieten sind. Auch hier wird der Widerspruch zur heutigen Realität in Bayern (und nicht nur in Bayern) besonders deutlich
– die extreme Rechte – von den Rechtspopulisten in der AfD über das Gesindel mit der BezeichnungPEGIDA bis hin zu den ganz Hartgesottenen und offenen Nazis – wird immer wieder verharmlost, Ich nenne hier nur das unsägliche Kasperltheater um die sogen. „Reichsbürger“! Das sind durch und durch mit Nazi-Ideologie und Rassismus verseuchte Gestalten!
– Rassismus und Hasspropaganda sind im Alltag gang und gäbe;
– das Asylrecht wird missachtet und ausgehöhlt;
– und auch in Bayern ist das politische Gewicht von Konzernen wie Siemens, BMW, Audi oder auch Airbus und Kraus-Maffei überdeutlich.
Der 70. Jahrestag der Bayerischen Verfassung ist für uns Anlass, auf ihre menschenrechtlichen, sozialstaatlichen und antifaschistischen Normen zu verweisen. Eigentlich müsste die Verfassung ja Richtschnur für politisches und gesellschaftliches Handeln der Regierung im Freistaat sein.
Und wir werden die Damen und Herren in der Bayer. Staatskanzlei mit dieser Verfassungsaufgabe möglichst oft konfrontieren.
Art. 188 beinhaltet:
Jeder Schüler erhält vor Beendigung der Schulpflicht einen Abdruck dieser Verfassung.
Vielleicht hat Herr Söder seinerzeit ein solches Büchlein nicht erhalten. Vielleicht hat er es auch verlegt –
Jedenfalls haben wir für ihn eine Bayerische Verfassung mitgebracht, die wir jetzt Herrn Söder, bzw. seinem Büro übergeben.